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Aktivitäten: Ausstellung

Zu den Kunstausstellungen in der Kirche Am Hohenzollernplatz
Wozu braucht die Kirche die Kunst?

In der Apostelgeschichte wird von dem Kämmerer aus dem Morgenland erzählt, der auf dem Rückweg ist von einer Wallfahrt, die ihn nach Jerusalem geführt hatte. Nun, auf dem Rücksitz eines Gefährtes sitzend und auf dem Heimweg, ist er in Gedanken versonnen über einem biblischen Text. Da tritt der Apostel Philippus an ihn heran und stellt ihm die berühmte Frage: "Verstehst du auch, was du liesest?" Wir kennen den Fortgang der Geschichte: Der hohe Finanzbeamte gibt sich als unkundig zu erkennen; der Apostel erklärt ihm daraufhin, was gemeint ist, und der Kämmerer lässt sich taufen.

Wie schön, wenn das in Glaubensdingen immer so einfach ginge, wenn wir immer diejenigen bei uns und in unserer Nähe hätten, die uns gleich die Rätsel und Geheimnisse des Glaubens so klar und deutlich aufschließen könnten, dass Zweifel überwunden und die Klarheit des Glaubens wie ein helles Licht uns umgeben würde. Merkwürdigerweise scheint es besonders in der zeitgenössischen Kunst gewisse Ähnlichkeiten zu geben: Ich erinnere mich gern an eine Situation, die für mich zu einem Schlüsselerlebnis wurde. Es liegt einige Jahre zurück und fand hier in unserer gerade renovierten schönen Kirche statt. Ich wurde Zeuge folgender Situation: Sonntagvormittag; Eltern und Kinder verlassen nach dem Kindergottesdienst die Kirche. Fröhliches Treiben, hin- und herlaufende Kinder und Jugendliche; Eltern, die in Gruppen für ein kurzes Gespräch beisammenstehen. Im Kirchen-Raum sind Bilder und Assemblagen der Berliner Künstlerin Eva Koethen ausgestellt; darunter eine Reihe sogenannter Bodenbilder, die auf dem Fußboden ausgebreitet liegen. Eine Mutter steuert mit ihrem Kind dem Ausgang der Kirche zu. Ein ca. 1,50 x 2,50 m breites Bodenbild liegt "im Wege". Mutter und Kind müssen ausweichen. Da fragt das Kind die Mutter: "Mama, was ist das?" Die Mutter antwortet: "Das soll Kunst sein!" Das Kind dreht sich die Kirche verlassend noch mehrfach nach diesem seltsamen, am Boden liegenden "Kunstwerk" um. Denkt es den Worten seiner Mutter nach? Fragt es sich: "Was ist Kunst ?"

Was ist Kunst, was macht sie, was hat sie in der Kirche verloren und was nicht? In welchem Maße hat die Auseinandersetzung mit ihr Anteil an der Kommunikation des Evangeliums? Die Antwort wird sicher sehr verschieden ausfallen. Denn es gibt Kunstwerke, die einfach erfreuen – eine schöne Landschaft, ein gutes Portrait, eine gelungene Farb- oder Formstudie. Kunstwerke können treue Begleiter sein wie Lieder und Gedichte.

Aber dann gibt es eben auch das Unverständliche, das Ärgerliche. "Was soll denn das sein?" Das soll Kunst sein?", so wird oft gefragt bei Kunstwerken, die unsere Sehgewohnheiten in Frage stellen, sei es, dass sie schockieren und provozieren, sei es dass sie in gewissen Verschlüsselungen Ratlosigkeit hervorrufen. Da wünscht man sich nun den Kunstkenner herbei oder wäre am liebsten selber einer, der mitreden, der verstehen und erklären kann.

Der große Berliner Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher Eberhard Roters hat einmal in einem Text für den Berliner Maler Günter Scharein geschrieben: "In der Kunstferne unserer beiden großen Kirchen offenbart sich eine Verkopfung und eine Verblassung der Erlebnisfähigkeit, die zugleich Religionsferne signalisiert. Nicht die Kunst braucht heute die Kirche, aber die Kirche braucht die Kunst."

Das ist ein ernstes Wort eines der Kirche sehr freundlich gesonnenen Fachmannes. Es kommt darauf an, dass wir uns auf dem Level der höchsten geistigen Auseinandersetzung gegenwärtiger Kultur bewegen. Jene, die dafür sorgten, dass vor bald 80 Jahren unsere backsteinerne Kirche eingeweiht werden konnte, bewegten sich dort. Diese Kirche sprengte die bis dahin gewohnte Formensprache im Kirchenbau. Auch die Materialwahl, innen Beton, außen Torfbrandklinker bester Qualität, war revolutionär. Es gehörte einiger Mut dazu und Kenntnis des aktuellen kulturellen Alphabets, diesen Kirchenbau durchzusetzen. Und es waren Menschen da, die sich das alles etwas kosten ließen, weil sie davon überzeugt waren, dass es gut ist für die kulturelle Präsenz des christlichen Glaubens, wenn er sich einer Zeichensprache bedient, die sich am Besten der jeweiligen Gegenwart orientiert.

Davon sind wir in unserer Kirche heute unterschiedlich weit entfernt. Es geht um christliche Präsenz in der Kultur der Gegenwart. Die Situation ist ernst. Weithin treten wir auf der Stelle, obwohl die Zeit ausläuft, die Gott der Herr in seiner unbegreiflichen Gnade gewährt. Müssten uns nicht Siebenmeilenstiefel an unsren übervorsichtigen Beinen wachsen?

Die Beobachtung stimmt hoffnungsvoll, dass sich in den letzten Jahren in allen Landeskirchen in Deutschland und auch bei uns gerade auf diesem Gebiet viel getan hat. Zunehmend suchen Kirchengemeinden die Begegnung mit Werken der zeitgenössischen Kunst und Kultur. Das ist zu begrüßen! Die Kirchengemeinde Am Hohenzollernplatz gehörte in diesem Prozess zu den Wegbereitern. In einem unablässigen Dialog, mit einem klaren Konzept und mit beträchtlicher Ausstrahlung in die Stadt und Umgebung hinein hat sie sich seit 1987 als verlässliche Dialogpartnerin erwiesen. Die Kirchengemeinde hat durch das Veranstalten von Kunstausstellungen, Dichterlesungen und ein beachtliches musikalisches Angebot in finanziell schwieriger gewordenen Zeiten kulturelle Präsenz gezeigt. Dafür ist sie zu beglückwünschen! Im Bereich der Kunstausstellungen führt sie die Arbeit in Kooperation mit dem Kunstbeauftragten und der Kulturstiftung unserer Landeskirche. Durch die Kooperationsprojekte mit dem Kunstbeauftragten und der Stiftung St. Matthäus ist es immer wieder gelungen, Ausstellungsprojekte mit beträchtlicher Ausstrahlung in die Kulturszene der Stadt zu realisieren. Dabei hat der Kirchenkreis Wilmersdorf mit gelegentlicher finanzieller Förderung manchmal etwas mitgeholfen und steht zu diesem Schwerpunkt in der Arbeit der Kirchengemeinde Am Hohenzollernplatz. Der Kunstbeauftragte hat hier seinen Dienstsitz und hilft, die Kontinuität zu wahren. Der jährlich hier in der Kirche stattfindende Kunstgottesdienst "Mein Psalm" mit dem Empfang des Bischofs für Künstler und Kulturschaffende ist zu einem festen Bestandteil kultureller Zeichensetzung unserer Kirche geworden.

Für ihren langen Atem und ihre Bereitschaft, sich in diesen Prozess einzubringen und dann zu bleiben, sei der Gemeinde im Namen der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg herzlich gedankt. Was die Kirchengemeinde in diese Arbeit finanziell und personell hereingegeben hat, ist gut investiertes Kapital.

Die Kulturdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland "Räume der Begegnung" aus dem Jahre 2002 bestätigt die Richtigkeit dieses Weges, wenn es darum gehen soll, in unserer Gesellschaft kulturell präsent zu sein. "Die intensivste Präsenz des christlichen Glaubens ist immer kulturelle Präsenz." (W. Huber) Und darum geht es doch: dass wir uns nicht verstecken noch in Nischen einrichten – so bequem das noch für eine kurze Zeit sein mag –, sondern hinausgehen und in Kenntnis des kulturellen Alphabets der Gegenwart den Dialog suchen darüber, was uns Christenmenschen im Zutrauen auf das Evangelium Halt gibt – im Leben und im Sterben. Und dann wollen wir uns der kritischen Nachfrage im Gespräch aussetzen. Das ist Mission.

"Zur Mission in diesem Sinne gehört auch die "ansprechende Indirektheit", in der Menschen heute auf die Botschaft der Kirche hingewiesen werden. Nicht nur das diakonische Handeln, sondern eben auch die kulturelle Präsenz des Christlichen in unserer Gesellschaft ist ein Medium dieser "ansprechenden Indirektheit". Auch um ihres Missionsauftrages willen ist die Kirche verpflichtet, die Orte aufzusuchen, an denen die Menschen mit ihren Fragen zu Hause sind. Orte kultureller Kommunikation haben dafür eine herausragende Bedeutung. An diese Orte gehen (oder etwa in Form von Kunstwerken in eigenen Räumen Gastfreundschaft geben), heißt, aufs Hören eingestellt sein. (Und aufs genaue Hinsehen. Also die Frage gelten lassen: Verstehst du auch, was du siehst?) Eine so verstandene Mission durch aufmerksames Zuhören (und Hinsehen) setzt allerdings voraus, dass es eine redende Kirche gibt, die sich des Evangeliums nicht schämt", (EKD-Kulturdenkschrift, S. 86), sondern es ausrichtet allem Volke. "Nicht der Anspruch auf kulturelle Überlegenheit, sondern die Bereitschaft zu kultureller Kommunikation befähigt die Kirche dazu, ihren Missionsauftrag in einer Weise wahrzunehmen, die der Situation kultureller Präsenz entspricht." (S. 86).

Genau darum ermutigt die EKD-Kulturdenkschrift die Kirchengemeinden und kirchliche Einrichtungen zum fortdauernden kulturellen Dialog mit den Kulturen der Gegenwart – insbesondere mit der Kunst. Diese Ermutigung stellt die EKD unter das programmatische Motto "Räume der Begegnung". Die Kirchengemeinden mögen sich als Orte der Kultur verstehen und ihre Kirchen als Räume der Begegnung. "Will die Kirche sich nicht im Binnenmilieu bewegen, so muss sie die Instrumente der kulturellen Wahrnehmung und des kulturellen Diskurses stärken und pflegen." (EKD-Denkschrift, S. 89) Um mit den Menschen im Gespräch zu sein, ist es unabdingbar, ihre Sprache zu verstehen, das kulturelle Alphabet der Gegenwart angemessen zu buchstabieren. Vielleicht stehen wir inmitten einer ermutigenden kulturellen Alphabetisierung unserer Kirche.

Ich wünsche den Menschen, die in dieser Kirchengemeinde Am Hohenzollernplatz mit ihren vielen gut motivierten Ehrenamtlichen Orientierung und Halt suchen, einen sensiblen Gemeindekirchenrat, der auch zukünftig in Kunstdingen offen, neugierig und zu Investitionen bereit ist. Und dem Gemeindekirchenrat wünsche ich Gemeindeglieder, die sich ehrenamtlich zur Förderung der Gemeinde auch in Kunstdingen einbringen, etwa im Bereich der "Offenen Kirche", damit unsere Kirche Am Hohenzollernplatz auch in den kommenden Jahrzehnten offen steht, auf neue Weise ein Ort der Kontemplation, der Begegnung auch in der Anonymität und der geistigen Auseinandersetzung bleibe.

Christhard-Georg Neubert
Kunstbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz

(Grußwort anlässlich des 70. Jubiläums der Kirchweihe der Kirche Am Hohenzollernplatz, 2003)