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Kirche: Baugeschichte

Postkarte (1915)

Die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts

Der Erste Weltkrieg bedeutete für das Bewusstsein der meisten Menschen einen schweren Schock, der sie aufwühlte.  Was war und blieb beständig? Neues war gefordert, das  war wohl allen klar, aber wie und was? Die Kaiserzeit wurde zum Teil zurückersehnt, weil sie ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln schien. Für andere war jetzt die Zeit angebrochen, Neues zu wagen, die große Freiheit auszuprobieren.  Die Zwanziger Jahre des Jahrhunderts werden von daher als "die wilden" oder auch "die goldenen" bezeichnet.

Zum 1.10.1920 war das neue Groß-Berlin aus 8 Städten, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirken gebildet worden. Es entstand eine kulturelle und geistige Lebendigkeit, die das Gefühl der Bewohner, in einer Stadt zu leben, trotz aller Vorbehalte prägte.

Otto Dibelius, der bedeutende Berlin-Brandenburgische Bischof, damals Generalsuperintendent der Kurmark, sah sogar "Das Jahrhundert der Kirche" anbrechen. Voller Jubel und Aufbruchstimmung ist sein Buch, das 1927 erschien.

Unter der Überschrift "Das befreiende Gewitter" stellte er den gesellschaftlichen Wandel durch die Abschaffung der Monarchie dar, der für die Kirche auch bedeutete, eine selbständige Position in Abgrenzung und auch im Gegenüber zur neuen Republik, in der Kirche und Staat getrennt wurden, zu finden. Dabei war ihm klar, dass die "Kirche ganz überwiegend republikfeindlich ist".[1]  Aber für Dibelius bedeutete das auch: "Die Selbständigkeit der Kirche ist da! Nicht ohne Einschränkung! Aber aufs Ganze gesehen, darf es gelten: sie ist da! … Eine selbständige evangelische Kirche!"[2] Positiv empfand er die Grundstimmung: "Man kritisiert, man fordert neue Reformationen. Aber – man arbeitet mit! Denn man spürt: die Zeit der Träume und der Utopien ist vorbei. Die Arbeit an der Kirche hat jetzt sicheren Grund. Ecclesiam habemus! Wir haben eine Kirche! … Das Ziel ist erreicht! Gott wollte eine evangelische Kirche!"[3]

Andererseits muss er konstatieren, dass "die evangelische Kirche … ihr Jahrhundert nicht nur arm an inneren, sondern auch an äußeren Kräften (beginnt)."[4] Das neue Jahrhundert fing eigentlich erst richtig nach dem Ende des Ersten Weltkriegs an. Das hat Dibelius für die Kirche und die Gesellschaft erspürt. Nun endlich sollte es neu und anders als bisher weitergehen. Für die evangelische Kirche in Wilmersdorf hieß das, neue Kirchen zu bauen. So wurde 1929 die Kreuzkirche am Hohenzollerndamm (Architekten Ernst und Günther Paulus) in den Dienst genommen. Die Planungen für die Nordgemeinde, die ihre Gottesdienste in der Aula der Cäcilien-Grundschule feierte, sollten endlich in diesem Bereich einen repräsentativen Kirchbau hervorbringen. Der Wilmersdorfer Norden, also südlich des Kurfürstendammes gelegen, war ein gutbürgerlicher Bereich des aufstrebenden Berliner Westens, in dem Bankiers, Ärzte, höhere Beamte sich ansiedelten. Auch zahlreiche Künstlerinnen und Künstler gaben der Gegend ihr Gepräge, wovon noch heute viele Gedenktafeln an den Häusern zeugen. Ein verändertes Lebensgefühl machte sich breit, das Selbstbewusstsein der Bürger war gewachsen und ermutigte die Kirchengemeinde Wilmersdorf zu einem gewagten Bau, der in gewisser Weise als eine Folge der ersten deutschen Republik angesehen werden kann.

Der Hohenzollernplatz bot sich an, weil an seiner Südostecke noch ein großes Grundstück unbebaut war, bei dem die Pläne für ein Geschäftshaus noch nicht ausgereift und festgelegt waren, so dass ein Kirchbau an dieser Stelle denk- und planbar wurde. Im Blick auf den Städtebau war die Entwicklung im 19. Jahrhundert  ziemlich ungezügelt vor sich gegangen. Aus den Dörfern Schmargendorf und Wilmersdorf, die 1870 von Berlin aus noch jwd (sprich: jottwede; das ist eine Abkürzung für: g(j)anz weit draußen) lagen, war 1908 die Großstadt Deutsch-Wilmersdorf mit 108.000 Einwohnern geworden. Stadtplanerisch war im Nordosten Wilmersdorfs  eine Figur geschaffen, die einen Teil des Nordbezirks der Kirchengemeinde Wilmersdorf mit den vier Plätzen Fasanen-, Nürnberger-, Prager- und Nikolsburger prägte. Es war eine gutbürgerliche, eher konservativ geprägte Gegend, die sich großer Beliebtheit bei Wohlhabenden und bekannten Künstlern erfreute. Eine gute Adresse, die sich vom Kurfürstendamm nach Süden an der Achse der damaligen Kaiserallee (heute Bundesallee) bis zum Bayerischen Platz hinzog.

Postkarte (1915)

Die Architektur war auf der Suche nach einer neuen Funktions- und Formensprache, um die erkannten Probleme des Bauens besonders in den großen Städten zu bearbeiten. Sie tat das in dem, was gebaut wurde, oft traditionalistisch. Andererseits aber war die Zeit reif für gewagte, phantasievolle, völlig neue Entwürfe, die bei vielen Wettbewerben eingereicht wurden, wegen ihrer revolutionären Visionen aber meistens nicht zur Ausführung kamen. Rationalismus, Konstruktivismus und Expressionismus konkurrierten miteinander, oft vermischt, ineinandergearbeitet,  eher experimentell Ausdrucksformen suchend als schon in  klar getrennte Schubladen der Theorie passend.

Ein Flugblatt, das zu einer Ausstellung für unbekannte Architekten von Walter Gropius entworfen wurde, mag den Geist jener Aufbruchszeit verdeutlichen. Darin heißt es: "Was ist Baukunst? Doch der kristallene Ausdruck der edelsten Gedanken der Menschen, ihrer Inbrunst, ihrer Menschlichkeit, ihres Glaubens, ihrer Religion! Das war sie einmal! Aber wer von den Lebenden unserer zweckverfluchten Zeit begreift noch ihr allumfaßbares, beseligendes Wesen? Da gehen wir durch unsere Straßen und Städte und heulen nicht vor Scham über solche Wüsten der Häßlichkeit! … Aber es gibt einen Trost für uns: die Idee, der Aufbau einer glühenden, kühnen, weit vorauseilenden Bauidee, die eine glücklichere Zeit, die kommen muß, erfüllen soll. … Maler und Bildhauer, durchbrecht also die Schranken zur Architektur und werdet Mitbauende, Mitringende um das Ziel der Kunst: die schöpferische Konzeption der Zukunftskathedrale, die wieder alles in einer Gestalt sein wird, Architektur und Plastik und Malerei."[5]

Ein besonderer Werkstoff hielt Einzug in das neue Bauen des 20. Jahrhunderts, der eher zufällig "entdeckt" worden war: der Eisenbeton. "Der Franzose Joseph Monier war Gärtnereibesitzer. Um die wenig haltbaren großen Blumenkübel aus Holz zu ersetzen, stellte er solche aus Beton her und ordnete in den Kübelwänden Eiseneinlagen an. So erhielt er sehr haltbare Behälter, die zudem dünnwandiger und weniger schwer waren als Kübel aus reinem Zement. Schon 1867 bekam er sein erstes Patent."[6]

Mit verhältnismäßig wenig Material konnte man dank des Eisenbetons nun Tragkonstruktionen entwickeln, die bisher ungeahnte Räume überspannten. Die Jahrhunderthalle in Breslau, von Max Berg zur Jahrhundertaussstellung 1913 entworfen, schaffte auf 5.000 qm Raum für 6.000 Sitz- oder 20.000 Stehplätze im Parkett, auf Tribünen und Galerien.

Eisenbeton als "grenzenloser" Baustoff spielte in den Überlegungen und Entwürfen eine zentrale Rolle. Auch Höger, der Baumeister der Kirche Am Hohenzollernplatz, nutzte ihn in seiner Kirche für die Binder, aber nicht für die Außenhaut, die bei seinen Bauten meist eine fein ziselierte und strukturierte Gliederung durch Klinker erfuhr.

Dem "Zehner-Ring", einer losen Gruppe moderner Architekten jener Zeit, gehörten an: Bartning, der auch einen Entwurf für die zu bauende Kirche am Hohenzollernplatz lieferte, Behrens, Häring, Mendelsohn, Mies van der Rohe, Poelzig, Schilbach, Bruno und Max Taut. Häring schrieb, daß sich der "Zehner-Ring" zusammengeschlossen habe, "um unsachliche und behördliche Widersprüche zu bekämpfen und um für eine neue Baugesinnung einzutreten."[7] Daraus erwuchs  später die Architektenvereinigung "Der Ring", die 1933 verboten wurde.

Für den Bau der Kirche Am Hohenzollernplatz ist das insofern von Interesse, weil die Wilmersdorfer Gemeinde  zwar einen repräsentativen, modernen Kirchbau wollte, aber "… einige Pfarrer der Gemeinde  darauf bedacht (waren), keinen Architekten aus dem 'schlimmen Ring' einzuladen."[8]

Immerhin zeigen die Entwürfe von Bartning, die sich in unterschiedlichen Akten finden, dass er sich schon frühzeitig (seit 1926) – und bevor das endgültige Kirchbaugrundstück vorhanden war – mit dem Problem einer Kirche am Hohenzollernplatz befasst hatte, deren Bauplatz zunächst in der Nikolsburger Straße (auf dem Grundstück des heutigen Jugendgästehauses) oder aber in der Nassauischen Straße (heutiges Pfarrhaus) sein sollte.

Auf dem noch freien Grundstück am Hohenzollernplatz sollte eine städtebaulich hervorragender Kirchbau entstehen, der sich einerseits in die bereits vorhandene Bebauung einfügte, andererseits aber zugleich einen markanten eigenen (modernen) Akzent setzen sollte. Deshalb nahm auch der Bezirk Wilmersdorf insbesondere durch Baustadtrat Grüder regen Anteil am und Einfluss auf den Wettbewerb zum Kirchbau.

Stadt und Gemeinde wollten einen modernen, den Hohenzollernplatz prägenden Bau. Das ist gelungen, wenn auch heute der Platz ein anderes Aussehen hat und die Kirche dadurch nicht mehr den ursprünglichen Eindruck bewirkt.

Trennlinie

 

[1] Otto Dibelius, das Jahrhudnert der Kirche, Berlin 1927, S. 76

[2] ebd.

[3] a. a. O., S. 77

[4] a. a. O., S. 199

[5] zit. n. Tendenzen der zwanziger Jahre, 2/ 65

[6] Peter Pfankuch, Von der futuristischen zur funktionellen Stadt. Planen und Bauen in Europa von 1913 – 1933, Abschnitt 2, S. 4, in: Tendenzen der Zwanziger Jahre. 15. Europäische Kunstausstellung Berlin 1977, Katalog Berlin 1977

[7] a. a. O., S. 32

[8] zit. n. Christoph Fischer, Gutachten zur Kirche am Hohenzollernplatz, im Auftrag des Senators für Stadtentwicklung und Umweltschutz – Landeskonservator, Berlin 1987 (unveröffentlicht, Masch.schr.): Entwurfsgeschichte, S. 2

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